Von Joachim Hübner
Mottenfraß an der Sprache der Justiz. Noch bestimmt § 184 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) Deutsch als alleinige Gerichtssprache. Die Vorschrift soll durchlöchert werden. Ein Gesetzentwurf zur Schaffung von Kammern für internationale Handelssachen, die Prozesse vollständig in englischer Sprache führen, liegt dem Bundestag vor. Nordrhein-Westfalen experimentiert: noch nicht mit Protokoll und Aktenführung, aber die mündliche Verhandlung auf Englisch wird erprobt. § 185 GVG läßt nämlich schon jetzt zu, mit Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ohne Dolmetscher zu verhandeln, wenn alle Beteiligten die fremde Sprache beherrschen. Genügt das nicht? Welches „weitere Gütesiegel“ muß, wie die ehemalige NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter meint, „dem hochwertigen Produkt ‚Law made in Germany‘“ noch hinzugefügt werden?
Der Beschluß des CDU-Bundesparteitags vom 02. 12. 2008, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz verankern zu wollen, scheint vergessen. Auch in den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2009 empfahl eine Arbeitsgruppe, die deutsche Sprache in der Verfassung ausdrücklich zu schützen. Seitdem schweigt des Sängers Höflichkeit. Kein Wort dazu im Koalitionsvertrag.
Ist die deutsche Sprache zum Abschuß freigegeben? So einfach läßt sich die Treibjagd nicht eröffnen. Das Grundgesetz stützt Deutsch als alleinige Amtssprache auch ohne besondere Erwähnung: Die Bundesrepublik Deutschland führt ihre Sprache schon im Namen. Ihr Grundgesetz ist vollständig auf Deutsch verfaßt. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Artikel 20 Absatz 2 GG), das die Rechtsprechung den Richtern anvertraut (Artikel 92 GG). Folglich ergehen Urteile nach den Verfahrensordnungen (z. B. § 311 ZPO für Zivilsachen, also auch internationale Handelssachen) im Namen des Volkes. In keiner anderen Sprache darf das geschehen, als in seiner eigenen.
Nach dem Willen der GVG-Spracherneuerer soll vor Gericht nicht mehr auf Deutsch über englische Vertragstexte gestritten werden. Englisch sei Verkehrssprache der internationalen Wirtschaft. Die Sprachbarriere lasse ausländische Beteiligte vor der deutschen Gerichtsbarkeit zurückschrecken. Die Gesetzesänderung stärke die deutsche Justiz, denn sie vermeide Gerichtsstandsvereinbarungen für das Ausland. Sie bewahre deutsche Unternehmen und Anwälte vor der Anwendung fremden Rechts.
Ist nicht bereits die Erwartung blauäugig, ausländische Handelspartner würden bereitwillig auf ihren Heimvorteil verzichten, nur wenn sie in Deutschland auf Englisch prozessieren dürfen? Kaufleute wollen ihre Interessen durchsetzen. Wer den Schutz der heimischen Gerichte sucht, das ihm vertraute Recht angewendet wissen will, wird sich davon so nicht abhalten lassen.
Globalisierung bedeutet Mehrsprachigkeit. Auch im Streitfall. Mit zusätzlicher Sprachverwirrung läßt sich das nicht ändern. Nichts anderes wäre die Zulassung einer zweiten Gerichtssprache in Deutschland.
Richter legen Gesetze aus, Vertragsklauseln und Äußerungen der Beteiligten. Sie nehmen Beweise auf, würdigen insbesondere Zeugenaussagen und Urkunden. Sie wägen Argumente ab, und im Urteil formulieren sie die Gründe ihrer Überzeugungsbildung und Entscheidungsfindung. Ohne Zweifel ist die Sprache das Werzeug der Juristen.
Das Präzisionsinstrument darf der Richterschaft nicht genommen werden: die deutsche Sprache, die sie beherrscht wie keine andere, in der sie ihr Wissen erworben hat, und mit der sie, privat wie beruflich, täglich umgeht. Nur in der Muttersprache kommen Feinheiten des Satzbaus und der Wortwahl voll zur Geltung, kann zuverlässig auch zwischen den Zeilen gelesen werden. In einer Zweitsprache bleibt Perfektion illusorisch. Eine bloße Annäherung an Muttersprachler genügt nicht, um Deutsch als Gerichtssprache zu verdrängen, schon gar nicht durch das von Redewendungen triefende Englisch. Aus der Begründung der Gesetzesvorlage: „Keinesfalls dürfen die Verhandlungsführung und die Qualität der Rechtsprechung unter Defiziten der Fremdsprachenkompetenz des gerichtlichen Personals leiden.“ Da sind wir uns einig.
Nicht nur Muttersprachler mit perfektem Englisch werden das Gericht bemühen, und bestimmt nicht alle Beteiligten sprechen das gepflegte Oxford-Englisch der königlichen Familie. Mißverständnisse und Fehlinterpretationen sind unvermeidbar. Wenn das im Urteil zutage tritt, wird die Freude, auf Englisch prozessiert zu haben, bitterer Ernüchterung weichen.
Die Gesetzesvorlage liefert die Notbremse gleich mit. § 184 Absatz 2 Satz 3 GVG-Entwurf:
„Das Gericht kann in jedem Stadium des Verfahrens anordnen, daß ein Dolmetscher hinzugezogen oder das Verfahren in deutscher Sprache fortgeführt wird.“ Unsichere und wenig einladende Aussichten für ausländische Unternehmen, die mit dem Zuckerbrot der englischen Sprache vor deutsche Gerichte gelockt werden sollen, zumal die Weltoffenheit ohnehin spätestens nach der zweiten Instanz beim Oberlandesgericht endet. Für Verfahren vor dem Bundesgerichtshof enthält § 184 Absatz 3 GVG-Entwurf lediglich eine Kann-Bestimmung. Soll damit dem Bundestag die Zustimmung abgetrotzt werden, weil so Kosten für die Umorganisation der Gerichte und personellen Mehrbedarf nur den Ländern entstehen?
Gerichte verhandeln öffentlich. Beschränkungen erfordern gewichtige Gründe. Vor Kammern für internationale Handelssachen regelmäßig englisch zu streiten, sperrt alle Sprachunkundigen aus. Die Entwurfsverfasser wiegeln ab, daß bei „einer repräsentativen Umfrage ... 67 Prozent der Befragten ... angegeben [haben], daß sie Englisch einigermaßen gut sprechen und verstehen können.“ Selbsteinschätzungen sind fragwürdig. Ob wirklich zwei Drittel der Deutschen im Englischen verhandlungssicher sind, bedürfte der Überprüfung. Und was wird aus dem Rest?
Eine fremdsprachige Insel in der Justiz würde zum Störenfried. Nicht zuletzt für deutsche Zeugen, die von deutschen Gerichten mit Dolmetschern vernommen werden müssten.
Das vernichtende Urteil: Englisch als Gerichtssprache wäre nicht die feine englische Art.
Quelle: Sprachnachrichten Nr. 48/2010 des VDS
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