Von Dieter Burkert
Eine religiös und politisch bewegte Zeit und deren Hauptvertreter verändern nicht nur das Denken, sondern auch die Sprache. Überkommende Wortformen werden inhaltlich umgewidmet, neue Spracheinheiten geschaffen. Über Martin Luther schreibt Werner Besch in seiner Sprachgeschichte: „Man kann vor Luther schlechterdings nicht von neuhochdeutscher Schriftsprache oder von neuhoch- deutschem Sprachtypus reden; denn erst durch ihn entscheidet es sich, welche Gemeinsprache (...) zum Zuge kommt.“
„Ich rede nach der Sechsischen cantzley“
Von Luther selbst wissen wir, woran er anknüpft: „Ich rede nach der Sechsischen cantzley“ (Tisch- reden, Auszug 1532, Nr. 2758 b). Luther war, von seinem Eltern- haus her und dialektal gesehen, „zweisprachig“: Die Mutter sprach westthüringisch, der Vater elbost- fälisch. Luther selbst – das erge- ben genaue Textanalysen – war zunehmend darauf bedacht, als diglossaler Nordthüringer über- regional verständlich zu sprechen und zu schreiben.
Bibelübersetzung und Sprachschöpfung
Insbesondere Luthers Bibelübersetzung (1522 Neues Testament, 1534 Gesamtbibel) führte gerade auch im nichtreligiösen Bereich zur Durchsetzung von mittel- und norddeutschen Sprachformen, die im Oberdeutschen (in Süddeutschland) kaum üblich waren und dennoch zu einer Art frühneuhochdeutschen Standardwortschatz wurden; einige Beispiele: Ernte (statt Schnitt) – Hügel (statt Bühel) – Lippe (statt Lefze) – Peitsche (statt Geißel) – Stufe (statt Staffel) – Topf (statt Hafen) – Träne (statt Zähre) – Ziege (statt Geiß). Luther konnte aber auch Oberdeutsches (anstelle mittel- und norddeutscher For- men) bevorzugen: Abend (für Westen) – Mittag (für Süden) – Mitternacht (für Norden) – Morgen (für Osten) – Schwanz (für Zagel).
„ittliche sprag hatt ir eigen art“ (Tischreden 5, 5521)
Diese von Aventin übernommene sprachphilosophische Erkennt- nis war zu einem guten Stück auch Luthers Übersetzungsprinzip. Im „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) gibt Luther Beispiele für die Art seines sinngemäßen Übersetzens. Berühmt ist eine strittige Stelle im Matthäus-Evangelium (12,34), wo es bis auf Luther meist heißt: „Auß dem uberflus des hertzen redet der mund“ (getreu der Vulgata-Fassung: ex abundantia cordis os loquitur). Dazu Luther: „Ist das deutsch geredet?“ „Das kann kein Deutscher sagen, sondern ...: Wes das hertz vol ist, des gehet der mund uber“ (Sendbrief 16).
alltagsnah und sakramental zugleich
Luther verstand sich als eigenständiger theologischer Interpret aus der Gnade Gottes. So kommt es zu dem soeben aufgezeigten alltagsnahen Übersetzungsstil, der dennoch keine Banalisierung bestimmter Stellen der Heiligen Schrift bedeutet, vielmehr deren sakralen Charakter zu wahren weiß. Beispiele: Rituelle Sprache:
„Siehe, ich verkündige euch ...“, epische Einleitung: „Es begab sich ...“, feierlicher Verbgebrauch: „Antwortete und sprach ...“ (Birgit Stolt: Luther, die Bibel und das menschliche Herz. In: MS 94, 1983, 1–15).
Bleibende Wirkung auf den deutschen Sprachschatz
Wortschatz, Sprichwörtergut und Satzbau verdanken Luthers Sprachkraft bleibende Bereicherung.
Wortschatz: Wortbilder wie Feuereifer, friedfertig, kleingläubig, Lückenbüßer und Machtwort sind unübertrefflich. Gewandelte Wortbedeutungen stechen hervor:
„Arbeit“ meint nicht mehr Mühsal und Plage, sondern Tätigkeit, Aufgabe, Leistung. „Beruf“ ist nicht mehr klerikal, sondern weltlich besetzt und verweist auf Amt und Auftrag. Wortgut: Bereits der Mystiker (Ekkehard; Tauler; Seuse) wird bleibend bedeutungsvoll: Eindruck, Einfall, Einkehr; anschaulich, unbegreiflich, wesentlich. Sprichwörter: Ein Dorn im Auge; der Geist ist willig, aber ...; wer andern eine Grube gräbt, ...; sein Licht unter den Scheffel stellen; mit seinem Pfunde wuchern; sein Scherflein beitragen. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.
Satzbau: Wer von ‚Lutherdeutsch‘ spricht, denkt auch an einen einfachen, ungekünstelten Satzbau, in dem die Wortstellung noch sehr beweglich und die Verknüpfung der Satzteile locker erscheint: „Wen ein heufflin fromer Christen leyen wurden gefangen unnd in ein wusteney gesetzt / die nit bey sich hetten einen geweyheten priester von einem Bischoff / unnd wurden alda der sachen eyniß / erweleten eynen unter yhn / ... / und befilhen ym das ampt zu teuffen / meß halten / absolutieren / und predigen / der wer warhafftig ein priester / ...“ (An den Christlichen Adel deutscher Nation: von des Christlichen standes besserung, 1520). Mit den Worten von Justus Jonas, der Luther 1546 die Grabrede hielt, kann man getrost schließen: „(Luther) hat die deutsche Sprache ... recht hervor gebracht.“
Der Verfasser ist Philologe und Doktor der Theologie.
Quelle: Sprachnachrichten des VDS 4/10
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